Original von Paul B.
Gibt es eigentlich reinerbige Axololt Zuchtgruppen in Europa die noch dem Wildtypus entsprechen?
Hi,
ob's noch welche in Europa gibt, weiß ich nicht. Definitiv gibt es aber welche in Nordamerika, genauer gesagt
hier.
Einem Gerücht zufolge, das man immer wieder als Zitat unbekannter Herkunft hört, dessen Quelle sich aber irgendwie nie auftreiben lässt (à la urban legend), stammen "ganz definitiv" alle heute in Europa gehaltenen Axolotl von den paar Tieren ab, die Alexander von Humboldt vor rund 150 Jahren aus Mexico mitbrachte.
Das ist jedoch Quatsch; zum einen war es eine französische Expedition unter General Forey, die um 1870 die 34 Wildfänge nach Paris brachte, die wohl als die Stammeltern der europäischen Laborzucht von Axolotl betrachtet werden können.
Zum anderen wurden erst in den 1960er Jahren von Rufus Humphrey die ersten albinotischen mexicanum/tigrinum-Hybriden durch in vitro-Befruchtung und Kerntransplantation erzeugt, die dann als "Humphrey-Axolotl" starke Verbreitung zuerst in der Wissenschaft und dann auch in der privaten Haltung fanden.
Gerade dass heute praktisch sämtliche Hobbyisten-Zuchtstämme weltweit mit tigrinum-Genen "verseucht" sind, ist ein deutliches Indiz dafür, dass zumindest von Indiana aus, wo Humphrey seine Forschungen betrieb, ganz kräftig exportiert wurde. Das ist denn auch das Hauptproblem bei der Selektion auswilderungsfähiger und genetisch reiner Wildtypen, denn jedes Tier, das nicht in seiner genetischen Herkunft ausschließlich auf Wild-Genotypen zurückzuführen ist, scheidet für so ein Vorhaben von vornherein aus. Die Lösung des Problems dürfte aber da liegen, wo auch seine Ursache lag, nämlich beim Ambystoma Genetic Stock Center (der Link oben; ehemals Indiana University Axolotl Colony, gegründet von ebendem Rufus Humphrey, der dort auch die Hybriden erzeugte).
Meines Wissens ist ja die Vermehrung der Wildpopulation wegen der Wasserverschmutzung eins der Hauptprobleme. Durch gezieltes Verbringen von Laich wilder Weibchen in sauberes Wasser und zusätzlich kontrollierter Vermehrung solcher Wildstämme in privaten Aquarien, ließe sich doch die Wildform in großem Umfang zumindest erhalten.
Das sicherlich - aber:
Die Umweltverschmutzung kann auch in Mexiko auf Dauer nicht so weiter gehen. Und irgendwann könnte der ursprüngliche Lebensraum auch mal wieder Axotauglich sein.
Aber bei den riesigen Problemen Mexikos dürfte das noch einige Jahrzehnte dauern.
Diese Ansicht scheint mir noch viel zu optimistisch. Die "Trends" der letzten 500 Jahre (unter spezieller Beachtung der explosiven Entwicklung der letzten 50 Jahre) deuten eher darauf hin, dass die letzten Reste des endemischen Verbreitungsgebiets von Axolotl bald vollständig von der Landkarte getilgt bzw. für die Tiere nicht mehr bewohnbar sein werden.
Kurzer historischer Abriss:
- Der ursprüngliche Lebensraum der Axolotl war das riesige Seensystem der mexikanischen Hochebene, bestehend aus dem Texcoco, dem Chalco und dem Xochimilco (wobei der Texcoco etwa 4- bis 5mal soviel Fläche hatte wie Chalco und Xochimilco zusammen).
- 1325 wurden die Azteken durch kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Stämmen auf eine Insel des Texcoco vertrieben, wo sie 1370 ihre Hauptstadt Tenochtitlán gründeten.
- 1428 errungen die Azteken ihren entscheidenden Sieg über die Tepaneken und wurden damit zum mächtigsten Stamm im Gebiet des heutigen Mexico. Tenochtitlán wurde dadurch zur "Metropole", was natürlich zur Expansion führte - anfänglich, bedingt durch Mittel und Maßstäbe der damaligen Zeit, noch in "bescheidenem" Ausmaß durch Pfahlbauten über Wasser- und Sumpfflächen und Trockenlegung. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung belegte Tenochtitlán etwa 1/60 der Gesamtfläche des Texcoco (grobe Schätzung von mir nach historischen Karten).
- 1522 wurde nach der Eroberung des Aztekenreichs und völligen Zerstörung von Tenochtitlán auf deren Trümmern von den Spaniern die Stadt Mexico gegründet, die 1535 mit der Gründung von Neuspanien zu dessen Hauptstadt wurde. 1821 erklärte Neuspanien seine Unabhängigkeit, und die Nation Mexico entstand.
- Um 1900 belegte Mexico City erst die ca. zweieinhalbfache Fläche des ehemaligen Tenochtitlán. Zu diesem Zeitpunkt waren schon rund 80-90% des Texcoco trockengelegt; durch die Abschnürung des Nordteils entstand dabei der Lago Zumpango nördlich der Stadt. Ebenfalls trocken waren der Nordteil des Xochimilco und Teile des Chalco.
- 1965 hatte sich die Fläche von Mexico gegenüber 1900 noch einmal versechsfacht, 1990, also nur 25 Jahre später, schon etwa verzwanzigfacht. Zu diesem Zeitpunkt war die Restfläche des Texcoco gegenüber 1900 noch einmal mehr als halbiert, vom Xochimilco war nur noch etwa ein Achtel übrig.
Was heute noch vom ursprünglichen Seensystem übrig ist, hat nur noch einen winzigen Bruchteil der ehemaligen Fläche. Trotzdem ist das wohl das kleinste Problem, denn wenn diese Fläche erhalten werden könnte, könnte der Erhalt einer stabilen Axolotl-Population wohl ohne weiteres gesichert werden. Viel schlimmer ist, dass die Wasserflächen direkt an Mexico City angrenzen, heute eine 20-Millionen-Stadt mit massiven Umweltproblemen, extrem problematischer Wasserversorgung und katastrophaler Abwasserführung. Die paar Kanäle, die den Rest des Xochimilco bilden, werden von den Mexikanern als Naherholungsgebiet genutzt und mit Flachbooten befahren - und das in einem Ausmaß, dass man stellenweise über die Boote trockenen Fußes von einem Kanalufer zum anderen laufen kann. Wann zuletzt ein lebender Axolotl in der Brühe gesichtet wurde, weiß ich nicht; ebensowenig, ob es aktuell überhaupt noch realistische Bestrebungen zur Erhaltung dieses Lebensraums gibt. Fest steht, dass Naturschützer auch nicht darauf hoffen könnten, durch ökonomische Argumentation Gelder dafür locker zu machen, denn das Wasser ist, abgesehen von der Verschmutzung, durch seinen Salzgehalt von jeher ungenießbar.
Ich tippe also eher darauf, dass die Reste des Xochimilco in ein paar Jahrzehnten, falls sie dann überhaupt noch existieren, durch einen eingezäunten Graben in einem Vorstadtwohngebiet repräsentiert werden. Etwa so wie der Kö-Graben in D'dorf, nur nicht so "chic" und sicher noch dreckiger...
Was bliebe, wäre also vielleicht noch die Auswilderung in einem anderen Gewässer. Da aber dürften die Axolotl mit ihren doch sehr speziellen Ansprüchen wenig Chancen haben (oder auch zu viele, je nach Sichtweise), mal abgesehen davon, dass die Menschen mit "gezielter" Faunenverfälschung irgendwie noch nie so ein richtig glückliches Händchen hatten.

Also, ich sehe da wirklich für die Zukunft ziemlich schwarz...
Tschöö
Stephan